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Ohne Du, kein Ich

Hast du eine gute Selbstwahrnehmung? Bist du vertraut im Umgang mit dir selbst? Wie steht es um deine Sensorik für deine Mitmenschen? Spürst du, die Signale deines Umfelds? Nutzt du deine Aufmerksamkeit und Wahrnehmung für die aktive Gestaltung deiner Beziehungen?


Falls du dich gegen ein Leben in der Abgeschiedenheit entschieden hast, findet dein Alltag mitten in der Gesellschaft statt. Dabei spielt deine Beziehung zu den Menschen im direkten Umfeld aber auch zu dir selbst eine zentrale Rolle. Dein Lebensraum, dein Bubble, dein persönliches Netzwerk spannt zwischenmenschliche Beziehungen bei denen Denken, Fühlen und Handeln aufeinander bezogen sind. Intakte Beziehungen verursachen wechselseitige Wirkung. Dein Verhalten erhält Feedback, dein Selbstwert wird durch die Bewertung von deinen Mitmenschen beeinflusst. Die Werte, mit denen wir unsere Beziehungen gestalten, werden durch unsere direkten Ansprechpersonen immer auf uns zurück reflektiert. Ein Lachen hellt Gesichter auf, Aggression verursacht Streit, Freundlichkeit wird erwidert. Zwischenmenschliche oder auch soziale Beziehungen genannt, sind eine elementare Voraussetzung, um gesellschaftlich erfolgreich zu leben. Wir Menschen sind für Beziehungen geschaffen. Und wir tun gut daran, ein wertschätzendes Umfeld zu gestalten, in dem wir Bedingungen vorfinden, um wachsen zu können. Ohne Liebe geraten wir in ein zwischenmenschliches Spannungsfeld in dem wir immer stärker verkümmern. In einer intakten Gemeinschaft lebt sich einfach besser.

📷 Jack Finnigan, Unsplash.com

Bei der wohl längsten Studie der Welt geht es um Beziehungen. 70 Jahre lang haben britische Wissenschaftler*innen tausende Kinder in ihrem Leben begleitet, um herauszufinden, warum manche glücklich und gesund sind und andere es so schwer haben. Die renommierte Wissenschaftsjournalistin Helen Pearson nutzt diese bemerkenswerte Studie (The Life Project: what makes some people happy, healthy and successful – and others not?), um uns die wichtigsten Ergebnisse und grundlegende Wahrheiten über das Leben und über gute Erziehung mitzuteilen. Sie hält in ihrer Publikation fest, dass gute Erziehung und Interesse an der Entwicklung und am Lernen bessere Erfolgschancen bewirkt im Leben. Menschen ohne gute Beziehung zu Hause und ohne Interesse der Eltern an ihrer Entwicklung, finden kaum aus der Armut oder den sonstigen herrschenden Verhältnissen heraus. Unsere Prägungen aus dem Elternhaus haben wir mitbekommen, mit zunehmenden Alter wählen wir jedoch selbst, welche Prägungen wir aus den Beziehungen zu unseren Freunden und Lebenspartnern*innen zulassen wollen.


Der deutsche Kinder- und Jugendpsychiater, Psychotherapeut und Autor Michael Winterhoff beschreibt ungefiltert die Entwicklung unserer Beziehungsfähigkeit über die letzten Jahrzehnte. Jede Generation hat ihr eigenes Thema. Bei den 68ern stand das Motiv «Beziehung» im Brennpunkt. Nicht nur die zwischen Bürgern und Staat, sondern vor allem auch die Beziehung der Menschen untereinander. In den 80er und 90er Jahren stand ein anderes Thema im Vordergrund: Wie befriedige ich meine Bedürfnisse? Also wie werde ich schnell reich oder wie schaffe ich es, mich gut zu fühlen? Heute geht es nicht mehr um Beziehungen. Und auch nicht mehr darum mit allen Mitteln zu erreichen, dass es einem gut geht. Das neue goldene Kalb, um das die meisten Menschen tanzen heisst Image. Es geht um die perfekte Oberfläche. Und das ist uns schon so selbstverständlich geworden, dass es uns gar nicht mehr auffällt. Der Anspruch der Welt ein möglichst perfektes Bild von sich zu zeigen, ist nicht etwa auf die oberen Zehntausend beschränkt. Da ist zum Beispiel das Auftreten in sozialen Netzwerken mit einem möglichst makellosen Aussenbild auftritt oder die richtigen Meinungen und Überzeugungen vertritt. Der amerikanische Moralphilosoph Michael Sandel hat die Neigung, Ruhm und Ehre als direkte Folge persönlicher Leistungen zu sehen, als gefährliche Eitelkeit verurteilt. Selbstüberschätzung führt zu Überheblichkeit und Selbstzerknirschung führt zu Neid. Beide eignen sich nicht, um auf dem Weg der Gelassenheit voranzukommen.


Wenn du dich dafür entscheidest stärker in Beziehungen als in dein makelloses Image zu investieren, gibt es eine Reihe an erfolgsversprechenden Tipps. Neben der Selbstbezogenheit sind weitere Beziehungskiller wie fehlende Liebe, vielfältige Angst sowie ein buchhalterisches Verhältnis zu Regeln zu bekämpfen. Wer von anderen geliebt werden möchte, tut gut daran seinen Mitmenschen zuerst mit Interesse, Sympathie, Toleranz, Authentizität und Humor zu begegnen. Menschen, die sich selbst nicht zu ernst nehmen und die über ihre eigenen Fehler schmunzeln können, sind unglaublich attraktiv.


Haben uns die Lebensumstände der letzten Jahre dermassen verändert? Welche Werte haben wir über die Beziehungsebene gestellt? Der deutsche Autor, promovierter Historiker und frühere ARD-Korrespondent Markus Spieker schreibt, dass Jesus der Glücksforschung um zweitausend Jahre voraus war. Glück, sagten die Epikureer und die Stoiker, findet man bei sich selbst: in der Seelenruhe oder in der Pflichterfüllung. Viele moderne Philosophen stimmten ihnen auf unterschiedliche Art zu. Heute weiss man, was bereits Jesus lehrte: Glück ist Beziehungssache. Man ist nie mehr bei sich als in der liebevollen Gemeinschaft mit Gott und mit den Menschen. Der Himmel, das sind die geliebten Anderen. Deshalb ist auch Kirche kein Gebäude sondern die Gemeinschaft und die Beziehung zu den Menschen innerhalb und ausserhalb des persönlichen Lebensraumes. In der Bibel heisst es: «Das ist auch mein Grundsatz. Ich versuche, auf alle in jeder Beziehung Rücksicht zu nehmen. Dabei geht es nicht um mich und meinen Vorteil, sondern darum, dass möglichst viele Menschen gerettet werden.» (1. Korinther 10.33). In dieselbe Stossrichtung plädiert der deutsche Atheist und Philosoph Michael Schmidt-Salomon – notabene in christlicher Tradition – für mehr Mitgefühl: Mitleid und Mitfreude sollen auch Menschen zukommen, die weiter von uns entfernt sind. Nächstenliebe dürfe nicht zu Fernstenhass führen.


Übrigens lösen Selbstbezogenheit und Individualismus auch keine globalen Probleme wie den Klimawandel oder die Pandemie. Dafür braucht es mehr Gemeinsinn. Fazit: In einer intakten Beziehung blühen wir erst richtig auf. Denn ohne Du, kommt auch dein Ich nicht richtig zur Geltung.


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